Reclaim the streets: Revisited

Wie unschwer zu erraten, war ich am 19.März 2011 in Wien demonstrieren. Gemeinsam mit meiner besseren Hälfte und einer sehr guten Freundin, die gerade zu Besuch war, trotzten wir dem feucht-kalt-grauen Wetter und erfreuten uns an der bunten Vielfalt der Menschen und Demonstrationsformen. Bilder zum Ereignis auf diestandard, bei der denkwerkstatt und natürlich auf der Homepage 20.000 Frauen. Meine Kamera hat ihren Dienst verweigert, weil Akku leer.

So im Großen und Ganzen war es wirklich nett. Nicht im Vergleich zu den Bildungsdemonstrationen im letzten Herbst aber für eine Frauentagsdemonstration ungewöhnlich viele Menschen und für nicht-demonstrationserfahrene Frauengruppen auch super organisiert (habe ich mir sagen lassen, ich bin ja auch erst seit September 2010 im Lande und war nicht an der organisatorischen Planung beteiligt).
Ich war sehr überrascht von der geringen Polizeipräsenz. Das kenne ich ja nun von den Bildungsprotesten der letzten Jahre ein bisschen anders. Aber Samstag sind mir nur an den Kundgebungsplätzen hier und da ein paar Wägen aufgefallen. Die gesamte Demo-Route entlang schienen sie mir nur marginal hier und da mal rumzustehen. Und das muss mensch sich vorstellen: ~ 5.000-15.000 Menschen auf der Straße (je nach Quelle) und nur gefühlte 300 PolizistInnen. Zum Vergleich: In der Stadt in der ich vorher studierte machte, war es teilweise ein Verhältnis von 1 PolizistIn auf 2-3 Studierende bis hin zu einem 1:1 Verhältnis in Ausnahmefällen. Kurz habe ich mich gefragt, ob das jetzt gut oder schlecht ist. Trauen die MachthaberInnen Frauen weniger Aggression zu? Nicht, dass ich gern mehr Polizeipräsenz gehabt hätte. Oder dass ich mir mehr Aggression gewünscht hätte. Gewalt in welcher Form auch immer schadet JEDEM Protest hinsichtlich der Außenwirkung. Aber ein wenig fühlte es sich schon so an, als würden Frauen nicht ernst genommen.

Sehr positiv fiel mir dagegen diese bunte Vielfalt an Frauengruppen auf mit ihren unterschiedlich radikalen Forderungen, ihrer Aufmachung und den Positionen. Ich habe allerhand bekannte Gesichter gesehen, FreundInnen, KommilitonInnen, sogar DozentInnen und ProfessorInnen (und nein, das ist nicht selbstverständlich), Menschen deren Gesichter ich bisher nur aus den Medien kannte und natürlich viele viele andere Menschen, deren Blick teils ehrfürchtig (ob der historischen Komponente), teils wütend (ob der bestehenden Verhältnisse) aber meist fröhlich durch die Menge schweifte. Zumindest für mich ungewohnt: Sehr viele Frauen und nur wenig Männer, mit Ausnahme der KPÖ, die wohl den höchsten Männeranteil der anwesenden Gruppen aufwies. Es war ein gutes Gefühl zwischen all diesen Menschen zu stehen und mit ihnen den Ring entlang zu laufen. Zu jeder guten Demonstration gehört mittlerweile min. eine Samba-Truppe und/oder Cheerleader. Nach einer gelungenen Rede am Schwarzenbergplatz möchte ich diese Auflockerung noch um eins erweitern: Jodeln!

Leider weiß ich nicht mehr, wer es war aber mich hat das ziemlich beeindruckt und eine Demo ohne Jodeln ist für mich ab jetzt keine richtige mehr 😉
Wie auf öffentlichen gemischten Veranstaltungen gab es allerhand zu verteilen: Luftballons, natürlich Flyer, Plakate, Postkarten, Schuhanzieher und anderen Kleinkram ohne Ende. Der Vergleich zu Halloween bietet sich an, denn mittlerweile gehe ich ohne „Demo-Tasche“ nicht mehr raus. Irgendwohin muss ja das ganze Papier und Zuhause blättere ich dann genüsslich durch das, was andere so vertreten wie eben Kinder sich an Halloween durch ihre Süßigkeitenberge. Demo-Flyer sind Süßigkeiten für meinen Kopf. Sie spiegeln die Vielfalt wider. Darum möchte ich euch nicht vorenthalten, was dieses Mal inhaltliches so in meiner Tasche gelandet ist. Terminankündigungen und Werbung für Veranstaltungen lasse ich aus Platzgründen besser aus.

Revolutionäre Kommunist/innen
Position:
Frauen werden im Kapitalismus doppelt unterdrückt. Bürgerliche Frauen merken das nicht, denn ihre Emanzipationsbestrebung um formale Gleichberechtigung und Führungspositionen ist längst erreicht. Dadurch sind sie selbst zu Ausbeutern und Unterdrückern geworden. Würden sie sich für proletarische Frauen einsetzen, kämen die bürgerlichen Frauen in Interessenskonflikt mit ihrer eigenen Klasse.
Forderung:
Es braucht eine sozialistische Revolution, die die Klassengegensätze aufhebt – das nützt auch und gerade den proletarischen Frauen.

Kommunistischer Student_innenverband – Linke Liste
Position:
Geschlecht ist sozialisiert und konstruiert, wird aber als Bezugspunkt herangezogen, denn es ist immer noch eine bestimmende soziale Kategorie in HERRschenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Diesen Widerspruchs sind sich die Verfasser_innen des Flyers bewusst und kämpfen innerhalb dieser Gesellschaft, die immer wieder mit ihren eigenen Widersprüchen und innerhalb dieser kämpft.
Forderung:
Ziel ist die Auflösung männlich dominierter Strukturen, nicht nur in Bezug auf Gleichstellung und Machtpositionen, sondern radikaler (i.S.v. ursprünglicher) hin zu einer Auflösung des Arbeitszwangs und sexualisierter Gewalt – für ein freieres und wildes Leben für alle.
Frauen* und Männer* (also solche, die sich unabhängig von biologischen und sozialen Kategorien als solche verstehen) müssen dafür Seite an Seite stehen.

Wiener Plattform Atomkraftfrei
Position:
150km Luftlinie von Wien wird ein AKW ausgebaut, dessen Technik veraltet ist und das keine ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen hat.
Forderung:
Aufruf selbst keinen Atomstrom zu beziehen und auf Ökostrom umzusteigen.

Grüne Frauen Wien
Position:
Haben nette Plakate und Luftballons verteilt, mit der Aufschrift „Zum 100. Mal jetzt: Es ist NICHT genug“. In meiner Hand ein Flyer, der die wichtigsten Forderungen und Aktionen der letzten 100 Jahre an einem symbolischen Geduldsfaden darstellt. Dieser Geduldsfaden reißt.
Forderung:
Keine expliziten, die erst erklärt werden müssten. Im Gegensatz zu den meisten anderen linken Gruppierungen sind die Grünen (Frauen, Jugend, StudentInnenverbände) bereits im parlamentarischen Kreis vertreten.

Kommunistische Jugend Österreich (KJÖ)
Position:
Anprangerung bestehender Ungleichheit wie dem in Österreich starken Mutterkult, der größtenteils von Frauen geleisteten unbezahlten Versorgungsarbeit, der Lohnschere und den sozialen Einsparungen, die v.a. Frauen und Kinder treffen.
Forderungen:
Die Forderungen reichen von gleichem Lohn für gleich Arbeit über staatliche kostenlose und flexible Kinder- und Altenbetreuung über geschlechtssensible, emanzipatorische Erziehung/Ausbildung bis hin zu einem Einsparungsstopp – das alles mündet in einer sozialistischen Revolution aber die wird nur kurz angerissen im Vergleich zu anderen Gruppen.

rso – revolutionär sozialistische organisation
Position:
Großer Flyer, in dem ähnlich wie bei den revolutionären Kommunistinnen gegen Institutionalisierung der Frauenbewegung, die bürgerlichen Frauen und diejenigen, die den „Aufstieg“ geschafft haben, gewettert wird. Umverteilung findet nun nicht mehr von Privilegierten zu weniger Privilegierten statt, nicht von Männern zu Frauen, sondern innerhalb der Frauen.
Forderungen:
Forderung nach einer Repolitisierung des Kampfes und dem erneuten Kampf gegen kapitalistische Strukturen um wirkliche Frauenbefreiung zu erreichen.

Kommunistische Initiative
Position:
Gesellschaft trotz Antidiskriminierungsgesetzen nicht gleichberechtigt. Ausgangsbasis nicht gerechte Welt für Mann und ungerechte für Frau, sondern Bedingung für Mann ungerecht – für Frau noch viel ungerechter.
Forderung:
Möglichkeit sich hier und jetzt für Verbesserung einzusetzen in Forderung einer radikalen flexiblen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und der Aufwertung „atypischer“ Beschäftigungsverhältnisse und „frauentypischer“ Tätigkeiten. Das nützt auch MigrantInnen, deren Arbeitsmöglichkeiten in Österreich noch viel schwieriger sind. Ziel ist der Sturz des kapitalistischen Systems und die radikale Umgestaltung aller Produktions- und Lebensverhältnisse – der Sozialismus

AUS! Aktion Umsetzung Sofort.
Flyer zur Demonstration für Frauenrechte am 19. März 2011
Den erwähne ich an dieser Stelle, weil es hat einen gewissen Witz hat diesen Flyer in die Hand gedrückt zu bekommen, wenn ich nur über die Straße gehen muss um mitten in den demonstrierenden Gruppen zu stehen.

Bundesverband der MigrantInnen in Österreich
Position:
Vielen MigrantInnen sind in Österreich die elementarsten Rechte die 1911 für Frauen gefordert wurden, noch immer verwehrt. Das aktive und passive Wahlrecht z.B. Zudem sind MigrantInnen stärker als andere von schlechten Arbeitsbedingungen und Armutsgefährdung betroffen.
Forderung:
Darum die Forderung nach dem aktiven und passiven Wahlrecht für MigrantInnen, einer verpflichtenden Sozialversicherung ab dem ersten Euro, der Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen und Bildungsabschlüssen, einer flächendeckenden Ganztageskinderbetreuung und der Abschaffung sogenannter Mini-Jobs.

In{}fem – Forschungswerkstatt für feministische Interdisziplinarität
Position:
Die Forschung als wichtiges impulsgebendes Mittel für politische Entscheidungen agiert natürlich auch in männlich-dominierten Strukturen. Wichtige Fragestellungen für die Lebensrealitäten von Frauen werden daher oft ausgeblendet. Feministische Wissenschafterinnen kommen aus unterschiedlichen Bereichen. Die Forschungswerkstatt sieht sich daher als Vernetzungs- und Kooperationsort, der unterschiedlichen disziplinären Ansätzen ein Forum bieten möchte sozial ausgewogene Konzepte und Strategien zu entwickeln.
Forderung:
Allen Menschen sollte unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Aufenthalts- oder Familienstatus möglich sein, sich in allen Bereichen am regulären Arbeitsmarkt zu beteiligen und durch nicht-prekäre, arbeits- und sozialrechtlich abgesicherte Beschäftigungsformen ein zumindest Existenzsicherndes Einkommen zu erwerben.

Wie diese kurze Darstellung der Papiere zeigt, ist die Bandbreite zumindest in die linkspolitische Ecke ziemlich breit gefächert. Natürlich waren die Gruppen der Demonstration noch viel bunter, die Frauenhäuser und einige Jugendzentren waren genauso vor Ort wie Ministerinnen, ÖH-Gruppen, es wurde gestrickt (Link KnitHerstory) und wie auf den Bildern zu sehen auch allerhand buntes Papier herumgetragen. Japan war natürlich auch auf der Frauenrechtsdemonstration ein Thema. Ich bin ehrlich gesagt schon froh, dass sie Platz fanden aber nicht übermäßig. Sonst hätte es nur wieder diesen Beigeschmack von „Es gibt doch wichtigere Probleme als Frauenrechte“ gehabt.

Die Demo am 19. März 2011 war in meinen Augen ein gutes Beispiel dafür, wie queerer politischer Aktivismus aussehen kann. Nicht mehr (nur) die Definition als Frau* gab den ausschlaggebenden Impuls, es war die Erfahrung einer noch immer hauptsächlich auf dem Papier bestehenden Gleichberechtigung. Die Thematik brachte viele Menschen zusammen, nicht allein ihr Geburtsgeschlecht. Die Demo war ein Ansatz einer neuen „Wir“-Bestimmung.

Wie Rednerinnen auf der Anfangs- und Endkundgebung immer wieder betonten: „WIR“ sind viele, „WIR“ sind bunt. „WIR“, das ist ein Zusammenschluss linker und ha, falsch gedacht „weniger linker/Mitte“ [sic!] Frauen (und Männer). Dieses „WIR“ könnte der Anfang einer neuen Form der Solidarität sein.

Nun heißt es, nicht den (Gedulds-)Faden zu verlieren und die Aktions- und Vernetzungsmöglichkeiten, die Kooperationen nicht versanden zu lassen.

JEDER TAG ist ein Tag, sich für Frauenrechte stark zu machen!

Abschließend noch ein lautes „VIVA LA VULVA“ an meine Amazonen und ein „BIS BALD und frohen Mut“ an meine MitstreiterInnen auf allen Ebenen!

4 Kommentare (+deinen hinzufügen?)

  1. Lucia
    Mär 23, 2011 @ 11:31:12

    Danke dir für deinen ausführlichen Artikel.
    Gut zu wissen, dass es so vielseitig war.
    Yep, „WIR“ hat schon unsere Vorfahren überleben lassen,
    und daran sollten auch WIR Heutigen uns ein Beispiel nehmen.

    Und yeah, ein VIVA LA VULVA zurück 🙂

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  2. brigittethe
    Mär 23, 2011 @ 14:35:48

    Ein super Bericht von der Demo!
    Das mit der Demo-Tasche und den Süßigkeiten ist genial 🙂
    Ich war auch sehr erfreut über die Vielfalt auf der Demo – Wann gehen schon ÖVP-Frauen neben relvolutionären Anti-Kapitalist_innnen und diese neben Vertreterinnen von der Katholischen Frauenbewegung…
    Das mit der Polizei finde ich auch sehr seltsam… Im positiven Sinne könnte frau das jetzt so interpretieren, dass wir das Klischee bestätigt haben, dass wir friedlich sind – selbst wenn Industriellenvereinigung auf revolutionären Sozialismus trifft.

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  3. blogwesen
    Mär 23, 2011 @ 22:31:22

    Bei uns hat jede Frauen-Nischengruppe ihre eigene Veranstaltung abgezogen und dementsprechend war die Beteiligung nicht so groß…Ich weiß auch derzeit absolut nicht wohin sich das entwickeln sollte und muss zugeben, dass ich vor Ort unsere Frauengruppen oft SCHWIERIG finde…Die Diskussionsstruktur ist da genauso furchtbar wie bei den eher ‚männlichen‘ linken Vereinigungen…Ich sehe da leider keinerlei Unterschied und für mich auch kein wirkliches Arbeitsfeld…Warum soll man als Frau eigentlich ‚immer‘ NUR Feminismus machen??? Ich finde man muss es AUCH machen, aber sich darüber zu definieren???

    Was ganz gut läuft sind die Anti-Atomkraft-Demos..Da kriechen alle Alt-Tschernobyl-Protestler und ein paar Alt-68er wieder aus ihren Löchern…

    Das merkt man auch an der Gestaltung der Demos, da wird auf altes Liedgut zurück gegriffen, wie „Wir wollen keine Atomkraft“ auf die Melodie von „Heiveinu Shalom Aleichem“…Das finde ich etwas albern, aber doch irgendwie ganz witzig…

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    • Khaos.Kind
      Mär 23, 2011 @ 23:19:25

      Hi blogwesen,

      Diskutieren müssen viele viele viele Menschen erst lernen. Auch Frauen. Auch Feministinnen.
      Welche Frau die du kennst macht denn NUR Feminismus?

      Joa, die Anti-Atomkraft-Bewegung blickt ja auch auf eine Traditionsreiche Geschichte zurück. Lässt sich also schon ein gewisser Vergleich zur 100-Jahre-FrauentagsBewegung ziehen 🙂

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